Lilien im engeren und im weiteren Sinne - Anmerkungen zum deutschen Pflanzen-Namen "LILIE"
Foto : Copyright Boris Khvostichenko - Wikipedia - Dracaena cinnabari Sokotra
"Sie liebt mich, sie liebt mich nicht". In einem bestimmten Alter sitzen naturverbundene Landkinder auf einer Wiese und beginnen beim experimentell-wissenschaftlichen Abzupfen von Margariten-Blütenblättern das Biologie-Studium sehr viel früher als Andere. So lernen sie beispielsweise sehr schnell, dass man den Liebes-Wahrheits-Test niemals mit einem Kreuzblütler versuchen darf, denn bei dem endet das Resultat immer gleich und immer negativ und immer schon nach der zweiten Frage-Runde..
Kreuzblütler haben 4 Blütenblätter, Korbblütler - zu welchen ja die Margariten zählen - haben sehr viel mehr Blütenblätter und mal mehr und mal weniger, so dass man länger spielen kann und das Spiel dabei spannender bleibt, denn man kennt nicht von vorneherein das Ergebnis, das bei einer "geraden" Blütenblattzahl natürlich immer negativ ist.
Menschen kamen dann irgendwann auf den Gedanken, Pflanzen in Gruppen einzuteilen und orientierten sich dabei zuerst an den Blüten, ihrer Form, Farbe und Blütenblattanzahl sowie ihrem strukturellen Aufbau, also an der Frage, ob eine Blüte radiärsymmetrisch oder eine andere, unregelmässigere Form annimmt. So gelangte man im Zeitverlauf der Pflanzensystematisierung zu einem Modell von Zugehörigkeiten zu bestimmten Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten, das die Blüte der Pflanze als wichtigstes Bestimmungsmerkmal ansah.
Nun blühen Pflanzen zumeist nur für kurze Zeit, das heisst, Biologen, die etwas zu spät kamen mussten ein Jahr später nochmal wiederkommen um die Pflanze auch blühend wiederzufinden, damit sie eindeutig sagen konnten, welche Pflanze sie da tatsächlich gefunden hatten. Man begann also im Laufe der Zeit, neben den Blütencharakteristika auch weiteren Körperbaumerkmalen der Pflanzen Bedeutung bei der Zuordnung zu einer Familie, Gattung oder Art zuzumessen. Die biosystematischen Zuordnungsysteme wurden also mit der Zeit immer komplexer. Komplexe Ordnungssysteme, die über lebende und sich auch wandelnde Lebewesen gestülpt sind, zeigen aber immer die Tendenz, dass sie versuchen, in ihren Aufspiltterungen immer genauer zu werden, insbesondere dann, wenn sich die Beobachtungs- und Untersuchungsmethoden immer weiter verfeinern.
So sieht man schon mit einer Lupe an einer Blüte Häärchen, an einer anderen, sehr ähnlichen aber nicht, so dass man dann schnell auf den Gedanken kommt, man sei gerade dabei, zwei verschiedene Arten zu betrachten und verteilt somit auch 2 unterschiedliche Namen für möglicherweise ein und dieselbe Pflanzenart. Moderne Untersuchungsmethoden treiben diese Detailaufsplitterung noch sehr viel weiter. Man kann Unterschiede in der biochemischen Zusammensetzung von Fruchtkapseln entdecken oder genetische Strukturveränderungen finden, die dann jeweils Grund für das Aufspalten einer Pflanzengruppe sein können, die man zuvor als verwandtschaftlichen Zusammenhang angesehen hatte. Das heisst, unser schon sehr komplexes System der Biosystematik wird mit der Zeit immer komplexer und das nicht nur weil heute mehr Biologen existieren als noch vor 100 Jahren.
Eine Pflanzenfamilie, die solche Detailakribie zu spüren bekam, beziehungsweise deren ehemaliges organisatorisches Ordnungsschema und familiäres Gefüge von den immer genaueren Einteilungsmodellen schwer getroffen wurde, sind die Lilien. Diese ehemals in der Biosystematik sehr weit gefasste und ´sehr artenreiche Familie, benannt die LILIACEAE und zugeordnet zur Ordnung der Liliengewächse oder Lilienartigen, also der LILIALES, wurde vor gar nicht allzulanger Zeit, zuletzt wohl im Jahre 2009, auf Grund "neuer, molekularphyologenetischer Daten" in mehrere Familien aufgespaltet und unterschiedlichen Pflanzen-Odnungen zugewiesen.
Wandern nun Nicht-Wissenschaftler oder solche Wissenschaftler, die noch vor 30, 40, 50 Jahren studiert hatten, durch das Pflanzensystem, so finden sie heute Lilien an allen möglichen Orten, die zwar den volkstümlichen Namen Lilien tragen, doch "biosystematisch-aktualisiert" betrachtet genaugenommen gar keine Lilien mehr sind. So sind beispielsweise die typischsten aller Lilien, die Schwertlilien und unter ihnen auch die Germanische Lilie Iris germanica heutzutage Spargelgewächse, aber keine Lilienartigen mehr. Mit diesem etymologischen Widerspruchsgefüge wird die systematische Biologie noch einige Generationen lang zu kämpfen haben, denn selbst wenn in ein paar Jahrzehnten alle Vertreter der ursprünglichen systematischen Lilien-Schule ausgestorben sein werden und das neue System dann unwidersprochen hingenommen werden wird, so wird es doch noch viel längere Zeit in Anspruch nehmen, bis alle in der deutschen Sprache als Lilien benannten Pflanzen neue deutsche Namen übergestülpt bekommen haben werden.
Und Lilien sind weltweit verbreitet. Zwar beschränkt sich der Verbreitungsraum der heutigen, reduzierten Familie der LILIACEAE auf die Nordhalbkugel der Erde, doch wachsen Azucenas, Lirios, Lizes, Lys, Lilies und Liliums eben doch überall auf der Welt und eine einheitliche neue Benennung, die sozusagen das Monopol des Namens Lilie nur auf die biosystematischen Mitglieder der Familie Lilium reduzieren würde, ist weltweit und in allen Sprachen nicht zu bewerkstelligen.
Seit 2009 gibt es also Lilien in den unterschiedlichesten Pflanzenfamilien. Das ist auch gar nicht verkehrt so. Die Lilie verkörpert als Pflanze das Symbol der Hoheit, getragen vom Lilienbanner, das nicht nur die Wappen der französischen und spanischen Monarchie ziert. Desweiteren verkörpert die Lilie das Symbol der Schönheit und der Reinheit Warum sollten diese Wertschätzungen nicht dispers und überall im System der Pflanzen verteilt auftauchen ? Familie ist Familie, Lilie steht darüber und arm sieht die Pflanzengruppe aus, die keine Lilie eingebaut bekommen hatte.
Gärten und insbesondere solche, die sich um den Titel des "Botanischen Gartens" bemühen, sind nun mal anders als Systemabteilungen im Internet nicht durch Mausklick umstrukturierbar. Wurden vor einem halben Jahrhundert in einem Systemgarten beispielsweise Pflanzen gesammelt und zusammen bewahrt, die einer damals gültigen Systemgruppe zugeordnet waren, so haben solche Beziehungsgemeinschaften natürlich auch weit über den Zeitpunkt hinaus Bestand, an dem ein kleiner Elitezirkel von Biosystematikern beschliessen mag, das System jetzt anders zu gestalten.
Im heutigen Botanischen Garten des CID Institutes wurden seit 1969 von seiner Gründerin insbesondere Lilien und Coniferen zusammengeführt, neben Heilkräutern, Medizinalpflanzen sowie Wildkräutern und Zierpflanzen mit Bezug zur Familienhistorie. In Bezug auf die Lilien orientierte sich die Gartengründerin also vermutlich an einer Begriffsdefinition für Lilien, die auch schon vor einem Jahrhundert gültig war. Damals, also in den ersten beiden Dekaden des 20igsten Jahrhunderts, sammelte man alle Pflanzen mit Lilien-Charakteristika in einer biosystematischen System-Abteilung, die mit LILIFLOREN benannt war.
Die Pflanzengruppe der LILIFLOREN umfasste Stauden und Zwiebelgewächse, seltener auch Knollengewächse und einige Pflanzen mit strauch- oder baumartigen Stämmen. Interessant ist, dass viel Pflanzen dieser Gruppe sowohl unterirdische als auch überirdische Vermehrungsknospen haben. Lilien vermehren sich insbesondere aus Zwiebeln aber auch aus verholzenden Rhizomen, desweiteren über die Samenkapseln ihrer Blüten und zusätzlich kann auch die Bildung von Stengel- oder Wurzelgeflecht-Brutknospen erfolgen. Lilien sind also sozusagen bei ihrem Vermehrungsverhalten und ihren Vermehrungskapazitäten gar nicht langweilig.
LILIFLOREN erkennt man in der Natur auf den ersten Blick hin schnell an ihren Blüten und Blättern. Letztere sind zumeist schmal, glattrandig, linealisch lang und entstehen zumeist bodenständig und auch rosettenbildend. Ihre Blütenkrone besteht aus 6 Blütenblättern, die in 2 Blütenblatt-Kreisen angeordnet sind. Allerdings ist diese Blüten-Grundformel nicht immer auf den ersten Blick hin erkennbar. So bilden beispielsweise die Schwertlilien (IRIDACEAE) asymmetrische Blüten, das heisst einige der 6 Blütenblätter haben abweichende Blütenblattformen und existieren besondere Blüten-Formgebungen, wie beispielsweise bei der Narzisse, die zusätzlich zum äusseren Blütenblattkreis noch einen inneren Kelchkronenkreis bildet.
Ungewöhnlich für biosystematische Zuordnungen sind die, in den nun 100 Jahre alten Beschreibungen der LILIFLOREN zu findenden Attribute der Schönheit, die den Lilienblüten zugesprochen werden. So spricht man dort von "zumeist schön gefärbten, grossen Blüten, die endständig am Pflanzenstengel stehen" oder dort Trauben, Ähren, Rispen und Dolden bilden, die aus einer Vielzahl von Einzelblüten zusammengesetzt sein können. Desweiteren wird dort auf die grosse Anzahl von Arten mit "besonderer Blütenpracht und Wohlgeruch" hingewiesen, was schon damals die grosse Bedeutung vieler Lilienarten als beliebte Zierpflanzen begründete.
Doch auch der Nutzaspekt der Gewächse aus Zwiebeln ist von Bedeutung, wobei hier der Hinweis auf Speisezwiebel und Lauch, also Pflanzen der Gattung Allium sp schon beinahe banal klingen würde. Aber auch der Spargel und der Knoblauch zählen zu den LILIFLOREN. Doch insbesondere in Ost-Asien, also der Weltregion mit dem feinsten und am weitesten entwickelten Geschmackssinn und der grössten Phantasie, was die kulinarische Verwendung von Pflanzen und Tieren in der Küche betrifft, sind beispielsweise die Blütenblätter, Staubgefässe und auch die Rhizome mancher Lilien-Arten als besondere Delikatessen sehr beliebt. Aus anderen Lilien-Arten, insbesondere solchen mit höherem Gehalt visköser, bitterer oder harzartiger Pflanzensäfte (Aloe sp., Scilla sp.), werden Heilmittel hergestellt, aus manchen Gewürzstoffe extrahiert. Nicht zuletzt ist die Nutzung der Blattfasern zur Produktion von Naturfasern ein wichtiger ökonomischer Aspekt beim Anbau beispielsweise von Yucca, Agave und Sanseveria.
Als LILIEN im Sinne der Überschrift dieses Kapitels der Pflanzen-Monographie über die im Botanischen Garten des CID Institutes weitervermehrten, bewahrten und geschützten Pflanzen, werden also alle LILIEN betrachtet, die als LILIFLOREN im ursprünglichen Sinne dieses Begriffes an ihrem heutigen Wuchsort zusammengetragen wurden, insbesondere deswegen, weil sie aus diesem Grunde auch hier zusammenstehen und weiterwachsen werden.
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