Wildtulpen

Entstammt man der 1950-69-iger Generation, so denkt man bei "Tulpen" zuerst an Holland, das Königreich der Blumenzüchter und des Importes insbesondere ostasiatischer Pflanzenarten nach Europa - dank des konstruktiven Wirkens der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Die Tulpenzucht in Holland hat im Laufe der Jahrhunderte Ausmasse und Bedeutungen entwickelt, denen eine aussergewöhnlich tiefe Seelen-Beziehung zwischen holländischen Menschen und diesen besonders attraktiven Zierpflanzen zu Grunde liegen muss, die in kaum einem anderen europäischen Lande ähnlich stark ausgeprägt sein mag. Wissenschaftlich-reduktionistisch ist dazu der Terminus "TULPEN-FIEBER" geprägt worden, der aber in diesem Zusammenhange hier nur nebensächlich am Rande und der Vollständigkeit halber Erwähnung finden soll.

Tulpen, Gärtnerei und Holland implementieren sodann zumeist zuerst die Vorstellung von den Garten-Tulpen in millionenfachen Farb-, Form und Duftvarietäten, die man zur Tulpen-Saison in diesem Land in endlosen Pflanzungen und in grossangelegten Tulpen-Parks, wie beispielsweise dem Kasteel Koikenhof oder auf dem jährlich zelebrierten Nationalen Tulpentag in Amsterdam bewundern kann. Doch sind diese wunderschönen Blumen zumeist das Werk jahrhundertelanger züchterischer Weiterentwicklungen von Naturformen der originären, ursprünglich in der Natur wildwachsenden Tulpen-Arten, die in ebensolcher Schönheit wie ihre durch gärtnerische Pflege und züchterische Eingriffe weiterentwickelten Namens-Verwandten in Europa, Asien und Nord-Afrika an ihren eigentlichen natürlichen Standorten wachsen.

Dank ihrer millionenfachen Vermehrung und Verbreitung durch menschliche Zierpflanzen-Gärtnerei sind Garten-Tulpen heute sozusagen überall anzutreffen, wo Menschen Blumen zur Dekoration anpflanzen oder sie diese aus Gärten und Parks in die Natur zurückwandern lassen, während ihre wilden, ursprünglichen Pflanzen-Verwandten aus der grossen Lilien-Familie heute in Gärten eher nur selten anzutreffen sind und in der Natur an ihren ursprünglichen Standorten nicht unbedingt sehr verbreitet vorkommen und zumeist als selten, gefährdet oder besonders geschützt betrachtet werden. Die seltenere Verwendung Wilder Tulpen als Gartenpflanzen ist wohl dadurch begründet, dass diese originären und nicht züchterisch veränderten Wildpflanzen kleinwüchsiger sind, als die grösser und höher aufwachsenden, besonders attraktiv farbig blühenden Zucht-Tulpen und ihre Blüten im Vergleich zu diesen unauffälliger bleiben. 

Nennt man die Zier-Tulpen züchterischen Ursprunges in Parks und Gärten heute "Hybriden", also Kreuzungen zwischen ursprünglichen Tulpen-Arten, so sind die sogenannten "Wilden" oder "Ursprünglichen" Tulpen der Gattung TULIPA rund 150 Arten der biosystematischen Klassifikation zugeordnet.  

Der Botanische Garten des CID Institutes beherbergt, begründet auf dem gärtnerischen Wirken seiner Gründerin Rosemarie Zanger, bisher und auf dem Stand des Frühjahres 2022 nur 3 Wildtulpen-Arten, die sich dank besonderer Pflege und Zuneigung der Instituts-Mäzenin über viele Jahrzehnte im Garten gehalten haben, wobei allerdings das besondere Phänomen zu bemerken ist, dass sich zwei dieser Arten kaum vermehren und nur auf ihren reduzierten, ursprünglichen Standort beschränkt wachsen, während sich eine dritte Wildtulpen Art, nämlich die Duft-Lilie Tulipa sylvestris seit etwa einem halben Jahrzehnt phänomenal über den gesamten Garten auszubreiten beginnt.





Tulipa dasystemon

Kleine Stern-Tulpe


Die genaue Herkunft der Gartenpflanzen ist unbekannt, doch ist zu vermuten dass sie in den 1980iger Jahren in Weilmünster in einer Gärtnerei käuflich erworben wurden. Die Artzuordnung erfolgt unter Vorbehalt und auf Grundlage von unbeständiger bzw. variabler Internet-Bestimmungsliteratur als KLEINE STERN-TULPE Tulipa dasystemon, wobei in der Literatur darauf hingewiesen wird, dass die Abgrenzungen zu den Arten STERN TULPE / TARDA TULPE Tulipa tarda, TURKESTAN TULPE Tulipa turkestanica und MEHRFARBIGE TULPE Tulipa polychroma undeutlich seien. 

Als Herkunftsregion für Tulipa dasystemon ist Mittel-Asien, China, Xinjang, West-Pamir bzw. das "Himmelsgebirge" Tian Shan angegeben, welches sich über die Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und die Autonome Chinesisch-Uigurische Republik Xinjiang erstreckt.













Tulipa praestans

Vortreffliche Tulpe



Ebenso wie die Kleine Stern-Tulpe ist wohl auch die VORTREFFLICHE TULPE über den Weilmünsterer Pflanzenhandel im Laufe der 1970-1980iger Jahre in den Botanischen Garten des CID Institutes gelangt. Der gärtnerische Handel bietet von dieser Wild-Tulpe unter anderen die rot-blühenden Kultivare oder Sorten BLOEMENLUST, ZWANENBURG und FÜSILIER an. Ihr deutscher Name ist vermutlich von ihrer lateinischen Bezeichnung "praestans" abgeleitet, was soviel wie herausragend, hervorstechend, auffällig oder bemerkenswert bedeutet. Ebenso ist in der Internet-Literatur die Bezeichnung "Mehrblütige Tulpe" zu finden.  

Ihr natürliches Verbreitungsgebiet sind in Zentral-Asien Tadschikistan und der Pamir-Altai.













Tulipa sylvestris

Duft - Lilie


Wäre der Davidstern als 8-eckiges Graphiksymbol nicht von den Freimaurern entworfen worden, sondern von den Botanikern, so bestünden seine Bestandteile heute nicht aus zwei ineinender verwobenen, dreieckigen Handwerks-Messwerkzeugen, sondern aus den 6 gelben Blütenblättern der Wilden Tulpe. 



Stern-Symboliken unterschiedlicher, koexistierender Interpretationswelten


Doch sind nun mal der menschlichen Phantasie keine Grenzen gesetzt und kann die Genese graphischer Zeichen als Gruppenidentifikations-Symbol wohl nur selten auf eine einzige Inspirationsquelle zurückgeführt werden. So wird für Menschen mit stärkerem Naturbezug die Nähe des sechs-eckigen Sternsymboles zu Metaphern wie Blüte oder Sonne vermutlich überwiegen, während Chemiker und Mineralogen aus gleicher Perspektive mit Sicherheit  Kristallstrukturen von Diamanten oder Quarzen wiedererkennen würden, Architekten wohl sofort an technische Messwerkzeuge denken mögen, Autofahrer und Strassenverkehrsbehördenmitarbeiter aber dagegen absolut sicher ein Verkehrsschild sehen.

So dürfte auch vermutlich dem sogenannte Judenstern, einem volkstümlichen Revers-Badge-Sticker der dreissiger und vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, nicht notwendigerweise allerorten eine negativ-ausgrenzende Bedeutung zugeordnet worden sein, zumindestens nicht anfänglich seiner Erfindung. In Berlin, der damaligen Reichshauptstadt, jedenfalls bedeutete das Wort "der Jude" im Regionaldialekt "der Gute" und wurde das Tragen von roten Nelken am Revers von Sozialdemokraten niemals als "negativer Selektions-Marker" verstanden. Warum also sollten Juden, meist weniger gut besoldet und nicht zahlungskräftig genug um sich gelbe Blumen als Erkennungssymbol kaufen und anstecken zu können, nicht auf einfacher und selbst herzustellende gelbe Papierblumen zurückgegriffen haben um die eigene Gruppenzugehörigkeit und Identität im Gedrängel der Massen einer Millionenstadt zu stärken ?

Dufttulpen wurden 1933 vermutlich nicht in Berlin auf der Strasse angeboten. Auch vor rund 100 Jahren dürfte die heute in Deutschland nach Bundesartenschutzverordnung als "besonders geschützt" und "stark gefährdet" geltende Art ebenso zu den seltenen und weniger bekannten Pflanzen gezählt haben. Auch wird Tulipa sylvestris heute keinesfalls als ursprünglich in Deutschland beheimatete Art angesehen. Die Wilde Tulpe ist in ihren originären Habitaten der südeuropäischen, mediterranen Region (Sizilien, Griechenland, Türkei) und Nordafrika (Marokko, Algerien, Tunesien, Lybien) zugeordnet, also dem geographischen Raum in welchem historisch gesehen die Wiege der Juden und ihres Stammvaters, des Königs David, stand, welcher auch dem Nationalsymbol Davidstern seinen Namen gab. Aufschluss über einen solchen initialen Bedeutungszusammenhang könnten botanische Studien zur Frage der hebräischen Benennung der Wilden Tuple in Israel geben, die dann sinngemäss dort als Davids-Tulpe oder Davids-Stern bekannt sein müsste.



Eine der Tulipa sylvestris im Botanischen Garten des CID Institutes



In Deutschland bekannt geworden sein soll diese Tulpenart erst um 1550 durch aquarellierte Federzeichnungen im sogenannten Kodex Kentmanus, einer Natur-Enzyclopaedie zusammengetragen durch die aus Sachsen stammenden Ärzte Johannes und Theophilus Kentmann, aufbewahrt in der Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Diese hatten die Tulpe erstmals auf Reisen in Italien und Dalmatien entdeckt, gezeichnet und als Tulipa turcica minor, Tulipa dieta und Tulipa syriacus registriert. In seinem hier zitierten Artikel beschreibt der Marburger Privatdozent Dominic Olariu die Wilde Tulpe als "die begehrteste Blume der Welt" und ordnet exakt dieser Art auch die bereits Eingangs dieses Artikels als "Tulpen-Fieber" erwähnte, in der Folge der Entdeckung dieser Pflanze ausbrechende Faszination der "Tulipomanie" zu.

Zweifellos löst der Gelb-Farbton der Blüten, die etwa zur Zeit des Osterfestes im Monat April ihre Blütenblätter erstmals öffnen und dann über 2-3 Wochen aufrechterhalten, in den zu dieser Zeit noch vom ausgehenden Winter geprägten Gärten ein wahres Farb- und Lichtfeuerwerk aus, das jeden Betrachter sofort in den Bann ziehen muss und der Pflanze somit eine besondere Frühlings- und Lebenserwachens-Magie verleiht. Begleitet wird diese emotional-optische Farbwirkung vom angenehm süsslich-sanft-betörenden Duft, den die Blüten der Wilden Tulpe ausströmen, allerdings nur wenn man sich diesen auch mit der Nase bis auf Hautkontakt anzunähern traut. Somit müsste diese Tulpenart also auch zu den Geheimpflanzen der Parfümhersteller zählen und es wäre ein Wunder, würde sie nicht rund um die französische Parfüm-Metropole in Grasse an der Cote d´Azur angebaut.

Ihre Blütenkrone trägt Tulipa sylvestris zuerst zur Seite geneigt, so dass die zumeist nur 3 länglich-schmale, fast am Boden liegende Blätter tragende, schlanke, hochwüchsige Pflanze in ihrer Haltung an eine sich aufrichtende Schlange, eine Kobra erinnert. Erst später entfaltet die Blume ihre Blütenblätter vollständiger und richtet die Krone dabei mehr und mehr auf.






Der oben in der Kapitel-Überschrift dieser kurzen Abhandlung über die Wilden Tulpen des Botanischen Gartens des CID Institutes verwendete Name Duft-Lilie wird wohl kaum in einer weiteren Publikation über diese Pflanzenart zu finden sein. Es handelt sich um die nur in diesem Garten verwendete, singuläre Bezeichung dieser Tulpenart und bezieht sich auf eine Quelle in spanischer Sprache, in welcher diese Tulpe als "Lirio fragrante" tituliert wurde. Populär sehr viel verbreiteter sind die deutschen Artnamen Weinberg-Tulpe, Wald-Tulpe und Wilde Tulpe, letztere beide Bezeichnungen synonym zu den englischen  Vernakularnamen "Forest Tulip" und "Wild Tulip" ebenso wie im Französischen "Tulipe des Bois" und "Tulipe Sauvage", im Spanischen "Tulipan silvestre" und im Niederländischen "Bostulp". Auch im osteuropäischen Sprachraum ist der Name Wald-Tulpe in seinen jeweiligen Übersetzungen weitestgehend etabliert.

In den hiesigen Pflanzenzusammenhang gelangte die Wilde Tulpe erst sehr viel später als ihre beiden weiter oben bereits beschriebenen Verwandten ehemals wildwachsender und züchterisch nicht veränderter Tulpen. Ihre Aufnahme in den Pflanzenbestand erfolgte im Jahre 2009, vermutlich als nicht kommuniziertes Geschenk einer unbekannten Mäzenin des damals noch im Aufbau befindlichen Institutsgarten. Zwischen Juli 2007 und Oktober 2009 wanderten damals einige neue Pflanzenarten in den Botanischen Garten ein, als dort der Hauseingangsgarten zusammen mit dem Universe Mosaique Lake neu angelegt wurde und als Passanten, die Gefallen an dem in Entstehung befindlichen Experimental-Steingarten fanden, dort selbständig besondere Pflanzen miteingruben und Tiere freiliessen, wobei insbesondere der Mosaikteich mit Amphibien und Libellen bereichert wurde. Nach der lamentablen ersten Zerstörung dieses Gartenbauprojektes durch Vandalen im September-Oktober 2009 überlebte eine Tulpenzwiebel der Wilden Tulpe die Attacke auf diese Gartenanlage und trieb später, nach der Vollständigen Zerstörung des Universe-Mosaique-Gartens im Juli 2010 an anderer Stelle im Garten neu aus und bildet heute einen flächig ausgebreiteten Bestand im Zentralgarten.  






Dass diese im Vergleich zu den beiden anderen Wild-Tulpenarten phänomenale Bestandszunahme und Flächenausdehung von Tulipa sylvestris dergestalt möglich war, muss mehrere Gründe haben. Zuerst kommen dabei die für Liliengewächse typischen, multiplen Vermehrungs- und Verbreitungsformen in Betracht. Die Pflanze vermehrt sich einerseits sexuell über die Bildung und Ausbreitung von Samen, die nach der Blüte in einer "ledrigen, dreikammerigen Kapselfrucht" heranreifen und andererseits vegetativ über die Bildung von Zwiebelknospen, welche den Bestand unabhängig vom Erfolg der Samenausbreitung pro Jahr mindestens einmal zu verdoppeln in der Lage sind. Daneben verfügt die Wilde Tulpe allerdings auch noch über die Möglichkeit der vegetativen Vermehrung mittels sogenannter "Stolonen", Wurzelausläufern oder unterirdischen Seitensprossen, die sich von der ursprünglichen Tulpe aus schnell netzwerkartig ausbreiten können und dann zur Bildung von Ablegern in einigem Abstand zur Ausgangspflanze in der Lage sind, so dass bei geeigneten Bodenverhältnissen schnell ausgedehntere Flächen besiedelt werden können. Dieser Ausdehnungsprozess wird im im vorliegenden Fall durch die laufenden Umstrukturierungsarbeiten im Botanischen Garten des CID Institutes stark gefördert, da in verlagerten Erden der Tulpen-Pflanzanlage Bruchstücke von Stolonen oder verstreute Tulpen-Zwiebeln in andere Gartenflächen umgebettet werden und dann dort austreiben und neue Kolonien bilden können.









Weiterführende Literatur zur Wilden Tulpe :

Weinberg-Tulpe in Quedlinburg

Weinberg-Tulpe - Bayerns Ur-Einwohner

Tulipa sylvestris bei Staudengärtnerei Gaissmeyer

Wilde Tulpe bei Wikipedia



5. Mai 2022 - Aktualisierung 9:29 a.m.

Textredaktion, Design und Fotografien (mit Ausnahme der beiden Darstellungen des David-Sternes / Quelle : Wikipedia / Jüdisches Museum Berlin)

Dipl. Biol. Peter Zanger / Foto CID - CID Institut

https://botanischer-garten-cid-institut.blogspot.com/

cid.institut.network@gmail.com

cid-institut-de.blogspot.com





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